Sarcoscypha coccinea

Scharlachroter Kelchbecherling

(Jacq.) Sacc. 1889
Familie: Sarcoscyphaceae
© Thomas Lehr
coccinea = scharlachrot

Funddaten der beschriebenen Kollektion

24.02.2005 MTB 5916.3.4 Flörsheim, Kalkbruch an der Wiesenmühle, 95 m u. N.N. Feuchte, teilweise sehr moosreiche Böschung mit vorwiegend Crataegus, Sambucus, Cornus, Rosa, aber auch Juglans, Populus, Acer und Salix über lehmig bis tonigem, schwach bis deutlich kalkhaltigem Boden, dort auf bis zu armdicken, stark vermoosten und feuchten Ästen, 30 – 40 Fk; weitere Funde: 09.03.2005, Ostseite des Wickerbachs, ebenfalls im MTB 5916.3.4, drei Fk – Exs. u. Foto Th. Lehr

Makroskopische Beschreibung

Fruchtkörper pokal- bis becherförmig, alt auch stark abgeflacht tellerförmig, mit mehr oder weniger deutlich abgesetztem Stiel; Becher rund bis oval oder unregelmäßig „nierenförmig“, Durchmesser 7,5 – 50 mm, Höhe des gesamten Fk: 10 – 45 mm; Innenseite leuchtend purpur-, blut- oder himbeerrot, glatt bis fein runzelig, Außenseite weißlich bis fleischosa oder orangelich, gelegentlich der Innenseite auch fast gleichfarbig, schwach furchig, weißlich behaart, vor allem am Becherrand oft geradezu weißlich bis gelblich-orange gezähnelt, aber auch glatt; Fleisch weißlich bis zartrosa, 5 – 45 mm dick, ohne Geruch, Geschmack nicht geprüft; Sporenpulver weiß.

Mikroskopische Beschreibung (an Frischmaterial)

Aci 8-sporig, 360 – 420 µm, hyalin, lugolnegativ; Paraphysen sehr schmal, 0,7 – 2 µm, an der Spitze teilweise bis 3 µm verdickt, mit orangefarbenen bis roten Pigment-„Pünktchen“ gefüllt; Sporen elliptisch, sehr selten an den Enden schwach sattelförmig abgeflacht, hyalin, ohne schleimige Hülle, mit vielen Blächen, die meist an den Polen konzentriert sind, sich aber auch (bei unreifen Sporen) in der ganzen Spore verteilen können, die Bläschen mit 0,5 – 2,7 (-3,4) µm Durchmesser (schon bei etwa 48 Stunden altem Sporenpulver konnte eine Tendenz der Bläschen zum Verklumpen an den Polen beobachtet werden, so dass dort teilweise nur 1 – 3 Bläschen mit einem Durchmesser von bis zu 6,5 µm Durchmesser zu sehen waren); äußeres Excipulum aus länglich-blasigen Elementen von 5 – 12 µm Breite; Haare 500 bis 700 x 2,5 – 5 µm, hyalin, entfernt septiert, teilweise verzweigt, mehr oder weniger gerade, zumindest ohne auffallende Verbiegungen oder Krümmungen, vielfach inkrustiert.

Bestimmung

Die Gattungszuordnung der großen, leuchtend rot gefärbten Prachtbecherlinge bereitet schon im Feld für gewöhnlich keinerlei Schwierigkeiten. Ähnlich gefärbte Fruchtkörper, etwa aus den Gattungen Aleuria, Melastiza oder Scutellinia, unterscheiden sich durch deutlich kleinere, oft ungestielte oder an der Außenseite dunkel behaarte Apothecien, andere Erscheinungszeit und Ökologie.

Erheblich schwieriger ist aber die Artunterscheidung innerhalb der Gattung Sarcoscypha. Obwohl seit langem mikroskopische Beobachtungen vorlagen, die auf das Vorkommen mehrerer Arten hinwiesen (etwa BOUDIER 1903, der bereits eine Varietät jurana abtrennte), wurde noch bis in die 80er Jahre des vergangenen Jahrhunderts nur eine Art anerkannt, nämlich S. coccinea. Erst die monographische Bearbeitung durch BARAL (1984), die auf einer ein Jahr zuvor entstandenen Diplomarbeit beruht, konnte zeigen, dass es sich bei S. coccinea um eine Sammelart handelt, hinter der sich fünf, davon mindestens drei in Mitteleuropa vorkommende Arten verbergen. In der Folge wurden dann vor allem aus Nordamerka weitere Arten beschrieben (HARRINGTON 1997). Zudem konnte das von BARAL vorgestellte Artenkonzept auch durch molekularbiologische Untersuchungen gestützt werden (HARRINGTON 1998). Hieraus ergibt sich, dass all diese „neuen“ Arten nicht mit älterer Literatur bestimmbar sind (man denke z. B. an DENNIS 1968). In dem weit verbreiteten Ascomycetenband „Pilze der Schweiz“ (BREITENBACH & KRÄNZLIN 1984) etwa wird auf die Revision der Gattung durch BARAL verwiesen, ohne dass dessen Ergebnisse bereits hätten benutzt werden können. So stellt die dort als S. coccinea abgebildete Kollektion in Wirklichkeit S. austriaca dar, worauf BARAL in einer Korrekturliste zu Bd. 1 von „Pilze der Schweiz“ hingewiesen hat (BARAL & MARSON 2005).

Nach dem Artkonzept BARALS kann eine Trennung der drei mitteleuropäischen Arten nur durch eine mikroskopische Untersuchung – am besten an Frischmaterial – gelingen. Immerhin stellt der haarig-gezähnelte Rand von S. coccinea offenbar ein recht brauchbares makroskopisches Unterscheidungskriterium zu den beiden anderen Arten dar (BARAL in litt., BARAL 2004). Entscheidend sind aber die Mikrostrukturen und hier vor allem die Sporen und die Haare der Fruchtkörperaußenseite.

S. coccinea zeichnet sich zunächst durch seine ellipischen, über 30 µm langen, an den Enden nicht oder zumindest nicht deutlich abgestutzten Sporen aus, die zudem nicht von einer schleimigen Hülle umgeben sind und – neben unzähligen winzigen – eine ganze Reihe relativ kleiner (0,5 – 3 µm Durchmesser), runder Öltröpfchen aufweisen, die an den Sporenpolen angeordnet sind. Diese Öltröpfchen lassen sich aber nur an lebenden Sporen sinnvoll beurteilen, da totes Material oft ein verändertes Muster zeigt. Die Tröpfchen klumpen dann zusammen, so dass man oftmals nur noch ein oder zwei davon erkennen kann. Außerdem sind die Tröpfchen bei toten Sporen, im Gegensatz zu lebenden, gelegentlich über die gesamte Spore verteilt (Vergl. Abb. Mikromerkmale, B u. C). Die beiden anderen in Mitteleuropa vorkommenden Prachtbecherlingsarten unterscheiden sich aber auch dann noch hinreichend deutlich: S. jurana (= S. emarginata), der Linden-Kelchbecherling, zeigt signifikant abgestutzte, komplett von einer Schleimhülle umgebene Sporen mit einem großen (5 – 7,5 µm) Öltröpfchen an jedem Pol; S. austriaca, der Gemeine Prachtbecherling, besitzt ebenfalls abgestutzte Sporen, die normalerweise nur an den Polen eine Schleimkappe zeigen. Die Öltröpfchen von S. austriaca und S. coccinea sind sich aber sehr ähnlich. Als weiteres wichtiges Unterscheidungsmerkmal kommen schließlich die bei S. coccinea geraden oder höchstens schwach gewundenen Haare des äußeren Excipulums, der Außenseite also, hinzu. S. austriaca besitzt demgegenüber deutlich verschlungene, oft geradezu korkenzieherartig gewundene Haare, während S. jurana zwischen diesen beiden Extremen steht. Hinzu kommen unterschiedliches Keimungsverhalten und jeweils andere Konidienstadien, was aber für S. coccinea am Fund vom Dyckerhoff-Kalkbruch nicht nachvollzogen wurde, so dass hier nicht weiter darauf eingegangen werden soll.

Alles in allem zeigt der Scharlachrote Kelchbecherling also genug kennzeichnende Merkmale, so dass auch die Bestimmung der Kollektionen aus Flörsheim keine Schwierigkeiten gemacht hat.

Verbreitung und Ökologie

S. coccinea frukifiziert vom Flachland bis zu den unteren Gebirgslagen vorwiegend in luftfeuchten Au- und Schluchtwäldern auf mehr oder weniger stark bemoosten Ästen verschiedener Laubhölzer, nach BARAL (2004) vor allem auf Buche, Hasel, Ulme und Heckenrosen. In Flörsheim können Vorkommen auf Hasel, Weide oder Heckenrose angenommen werden, wobei nur in einem Fall das Substrat sicher bestimmt werden konnte. So hat Werner Pohl freundlicherweise einen Ast mikroskopisch untersucht und ihn dem Roten Hartriegel Cornus sanguinea zugeodnet, der bisher in der Literatur nicht als Substrat angegeben wurde. Die beiden anderen Arten bevorzugen im Übrigen eher andere Wirtshölzer. So ist S. austriaca in erster Linie an Erle und Robinie zu finden, während S. jurana offenbar ausschließlich auf Lindenästen vorkommt.

Die ersten kleinen Fruchtkörper zeigen sich oft schon im Spätherbst, was auch am Dyckerhoff-Kalkbruch beobachtet werden konnte, wo sich nach gezielter Suche am 14.12.2005 bereits an mehreren Stellen Apothecien feststellen ließen. Ausgereifte Prachtbecherlinge erscheinen dann aber vor allem im Februar und März nach der Schneeschmelze.

Der Scharlachrote Prachtbecherling scheint, wie auch die anderen Arten der Gattung, Standorte mit basenreichen Böden zu bevorzugen, wenn auch PIDLICH-AIGNER (1999) einige Funde von sauren Sandböden angibt.

Im Rhein-Main-Gebiet, in Hessen wie in ganz Deutschland müssen alle Sarcoscypha-Arten als selten bis sehr selten oder fehlend gelten, allerdings mit sehr unterschiedlichen Verbreitungsschwerpunkten. Für S. coccinea etwa ist im Verbreitungsatlas (KRIEGLSTEINER 1993) nur ein Fundpunkt für Mittelhessen angegeben, und die Verbreitungskarte von BARAL (2004) zeigt für dieses Bundesland überhaupt keinen Eintrag. Da die auffälligen Fruchtkörper der Art kaum zu übersehen sind, dürften diese Angaben die tatsächliche Verbreitung einigermaßen genau wiedergeben. Auf der anderen Seite könnten die frühe Erscheinungszeit und die bevorzugten, oft nicht leicht zugänglichen Standorte doch dazu führen, dass in Zukunft noch einige Fundpunkte hinzukommen, die aber kaum etwas am Gesamtbild ändern würden.

Dem entspricht, dass der Scharlachrote Prachtbecherling in der Roten Liste für Deutschland als „gefährdet“ geführt wird. In Hessen kommt ihm derselbe Schutzstatus zu, wobei hier, aufgrund der wenigen Fundorte, eine Einordnung als „(latent gefährdete) Rarität“ eher sinnvoll erscheint. Um so bedauerlicher ist es, dass die Vorkommen am Flörsheimer Kalkbruch aller Voraussicht nach in nächster Zeit einer Rodung bzw. Aufschüttung des Geländes zum Opfer fallen werden. Man kann in diesem Zusammenhang nur hoffen, dass der Versuch, wenigstens einige der Prachtbecherlingsäste zu „evakuieren“ und an anderen, einigermaßen geeigneten Standorten wieder auszulegen, erfolgreich sein wird, denn andernfalls würde der Dyckerhoff-Bruch eine seiner farbenprächtigsten Attraktionen für immer verlieren.

Literatur

  • BARAL, H. O. (1984): Taxonomie und öklogische Sudien über Sarcoscypha coccinea agg., Zinnoberrote Kelchbecherlinge, in: Zeitschrift für Mykologie 50, S. 117-145
  • BARAL, H. O. (2004): The European and N-American species of Sarcoscypha, http://www.gbif-mycology.de/HostedSites/Baral/Sarcoscypha.htm
  • BARAL, H. O. & G. MARSON (2005): In vivo veritas, 1 DVD, 3rd editin
  • BOUDIER (1903 – 1910), Icones Mycologicae ou Iconographie des Champignons de France, Bd. 2, pl. 322 f., BD. 4, S. 179 f.
  • BREITENBACH, J. & F. KRÄNZLIN (1984): Pilze der Schweiz, Bd. 1, S. 122
  • BUTTERFILL, G. B. & B. M. SPOONER (1995): Sarcoscypha (Pezizales) in Britain, in: Mycologist 9, S. 20-26
  • DENNIS, R. W. G. (1968): British Ascomycetes – Lehre
  • DEUTSCHE GESELLSCHAFT FÜR MYKOLOGIE u. NATURSCHUTZBUND DEUTSCHLAND (Hg.) (1992): Rote Liste der gefährdeten Großpilze Deutschlands – Eching
  • HARRINGTON, F. A. (1997): New Species of Sarcoscypha (Sarcoscyphaceae, Pezizales), in: Harvard Papers in Botany 10, S. 53-64
  • HARRINGTON, F. A. (1998): Relationships among Sarcoscypha species: evidence from molecular and morphological characters, in: Mycologia 90(2), S. 235-243
  • PIDLICH-AIGNER, H. (1999): Sarcoscypha austriaca und S. coccinea (Sarcoscyphaceae) in der Steiermark, in: Joannea Bot. 1, S. 5-26
  • SPOONER, B. M. (2002): The Larger Cup Fungi in Britain – part 4. Sarcoscyphaceae ans Sarcosomateceae, in: Field Mycology 3, S. 9-14

Weiterführende Literatur:

Alle Fotos, wenn nicht anders angegeben, von Thomas Lehr.
Zuletzt aktualisiert am 22. Juli 2020