Tricholoma equestre
Grünling
Ritterlinge sind überwiegend fleischige Lamellenpilze mit meist zylindrischen, kräftigen Stielen. Typisch für sie sind die ausgebuchtet am Stiel angewachsenen Lamellen. Diese Ausbuchtung wird als „Burggraben“ bezeichnet. Burggräben bringt man gern mit Ritterburgen in Verbindung, und so mag vielleicht auch der Name „Ritterling“ entstanden sein. So richtig einheitlich sind solche „Burggräben“ als Lamellenansatz jedoch nicht und es gibt sie in ähnlicher Ausprägung auch in anderen Pilzgattungen. Oberflächlich betrachtet könnte man sie als „frei“ bezeichnen, den Stiel also nicht erreichend. Deutlich reduziert erreichen sie über den Graben hinweg den Stiel aber doch.
Mit etwas Erfahrung bekommt man eine recht gute Vorstellung davon, wie Ritterlinge auszusehen haben, und diese Erfahrung gewinnt man am besten, indem man einige der typischen Arten kennenlernt. Dazu gehören zum Beispiel der Seifen- und der Schwefelritterling, die anhand einprägsamer Merkmale nahezu unverwechselbar und dazu noch recht häufig sind. Beide sind giftig oder unbekömmlich. Eine früher häufige und dazu noch schmackhafte Ritterlingsart ist inzwischen so selten geworden, dass sie bereits seit Jahren in Roten Listen als „stark gefährdet“ eingestuft wird, und das ist unser Grünling. Nur die älteren unter den Pilzsammlern können sich noch erinnern, sie gesammelt und in der Küche geschätzt zu haben. Damit ist nicht nur wegen ihres dramatischen Rückgangs Schluss, denn inzwischen hat man herausgefunden, dass diese einst als Speisepilz beliebte Art auf eine höchst komplizierte Weise giftig sein kann und Todesfälle verursacht hat.
Die Hüte des Grünlings sind polsterförmig, meist stumpf gebuckelt und werden bis zu 12 cm breit. Die gelbgrüne Huthaut kann auch löwen-, gold-, ocker-, rost- oder olivgelb getönt sein, ist zur Mitte hin dunkler, trocken schorfig bis etwas klebrig, feucht schmierig. Sie lässt sich nicht oder kaum abziehen. Da der Grünling Kiefernwälder auf sandigen Böden bevorzugt, nehmen die Hüte beim Wachsen gern Sandkörner aus dem Erdreich mit. Bei jungen Pilzen ist der Hutrand etwas eingerollt.
Die Lamellen sind (zumindest jung) leuchtend gelb, der Stiel ist meist etwas heller als der Hut, 1 – 2,5 cm dick und bis zu 7 cm lang. Das Fleisch ist weisslich bis blass gelb; es riecht und schmeckt nach Mehl oder Gurke. Das Sporenpulver ist wie bei allen Ritterlingen weiß. Der ähnliche Schwefelritterling Tricholoma sulphureum hat dickere, entfernter stehende Lamellen und fällt durch seinen abstoßenden Leuchtgasgeruch auf.
Zu den drei Fundpunkten, die im Verbreitungsatlas (Krieglsteiner, 1991) für das Rhein-Main-Gebiet angegeben sind, hätte ich einige weitere hinzufügen können. Sie stammen aus den 1960er Jahren, als der Grünling gut in unseren Kiefernwäldern vertreten war – z. B. bei Weiterstadt in der Teufelshölle (TK 6018.4.3, hier auch 1985), wo er massenhaft vorkam und vom nahen Autobahnrastplatz bequem zu erreichen war. Damals habe ich ihn noch als unbedenklichen Speisepilz gesammelt und desöfteren in der Küche verwendet. Seither ist europaweit ein drastischer Rückgang zu verzeichnen. Laut German J. Krieglsteiner “sind in erster Linie SOx- und andere Emissionen aus Industrie, Hausbrand und Verkehr verantwortlich”. In Baden-Württemberg wird die Art bereits als stark gefährdet eingestuft. Auch meine früheren Fundplätze müssen als erloschen gelten. Um so erfreulicher, dass der Grünling im September 2000 doch wieder aufgetaucht ist, und zwar im Roteichen-Bestand (!) des Ansfeld-Waldes. Auch in den Folgejahren sind hier immer wieder Fruchtkörper erschienen. Der obligatorisch an Nadelbäume (ganz überwiegend Pinus sylvestris) gebundene Pilz hat sich hier keineswegs verirrt und auch eine Fehlbestimmung kann ausgeschlossen werden. Seine Mykorrhizapartner sind im ca. 5 – 10 m entfernten Kiefernwald zu finden, der Standort liegt damit noch im Ausdehnungsbereich der Koniferenwurzeln. Erstaunlicherweise konnte trotz gründlicher Suche kein einziger Grünling im Kiefernareal selbst gefunden werden.
Im November 2006 wurde der gefährdete Pilz auch bei Waldacker im Jungwuchs von Waldkiefern gefunden, wo er auch 2008 wieder zahlreich erschien und bei mehreren Gelegenheiten beobachtet werden konnte. Danach hielt er dem bemerkenswerten Standort eiserne Treue. Dann jedoch, im Herbst 2016, suchte ich ihn in seinem angestammten Areal vergebens, um zwei Wochen später festzustellen, dass er lediglich „umgezogen“ war. Jetzt besiedelte er die nördlich und östlich des Anglerteichs gelegenen Hänge – und zwar zu Hunderten. Nach einer vorsichtigen Schätzung müssen hier mindestens 500 Fruchtkörper erschienen sein.
Seit mehreren Vergiftungsfällen in Frankreich und Polen, darunter einige mit Todesfolge, ist der Grünling als gefährlicher Giftpilz eingestuft worden. Trotz des Sammel- und Handelsverbots ist der Grünling im Jahr 2008 in der Frankfurter Kleinmarkthalle als Marktpilz aufgetaucht. Florian Haas, der ihn dort entdeckt hatte, berichtete darüber in einem Fundkorb-Artikel.
Zur Giftwirkung des Grünlings
Das Bundesinstitut für Risikobewertung gab 2004 dazu eine Stellungnahme ab:
In sehr seltenen Fällen kann es nach dem Verzehr des Grünlings bei bestimmten empfindlichen Personen zu einem schweren Muskelzellverfall (Rhabdomyolyse) kommen. In Deutschland sind bis heute keine derartigen Fälle beobachtet bzw. gemeldet worden. Aufgrund der unzureichenden Datenlage ist derzeit eine abschließende Risikobewertung nicht möglich. Allerdings ist die Zahl der durch Grünlinge ausgelösten Unverträglichkeitsreaktionen im Vergleich zu anderen Pilzsorten, die ebenfalls Unverträglichkeitsreaktionen hervorrufen können (z. B. roh verzehrter Hallimasch), außerordentlich gering. Damit stellt sich, nach Einschätzung des BfR, auch das Risiko für den Verbraucher als eher gering dar.“
Aus Frankreich und Polen sind zwölf Vergiftungsfälle beschrieben worden, bei denen drei Personen starben. In allen diesen Fällen wurde Rhadomyolyse diagnostiziert und es wurde eine weitere Gemeinsamkeit festgestellt: alle betroffenen Personen hatten mehrere üppige Grünlingsmahlzeiten an aufeinanderfolgenden Tagen zu sich genommen. Nach wie vor ist der Wirkmechanismus nicht hinreichend geklärt und es konnte kein verantwortliches Gift identifiziert werden.
Für mich nicht nachprüfbaren Berichten zufolge haben japanische Forscher einen Giftstoff isoliert, der auch in dem in Japan vorkommenden Täubling Russula subnigricans enthalten und für tödliche Vergiftungen verantwortlich sein soll.
Ob gering oder hoch – Risiko bleibt Risiko – und da die Deutsche Gesellschaft für Mykologie auf der sicheren Seite sein möchte, hat sie alle Pilzsachverständigen angewiesen, den Grünling nicht mehr als Speisepilz zuzulassen. Diese Einschätzung könnte in absehbarer Zeit relativiert und der Pilz wieder zum Verzehr zugelassen werden, wobei folgende Vorsichtsmaßnahmen beachtet werden sollten: Grünlinge nicht zu häufig, nur in überschaubarer Menge und nicht bei gleichzeitiger Einnahme von Medikamenten, die als Nebenwirkung Rabdomyolyse verursachen können, zu verzehren. Ein Sammelverbot sollte aufgrund seiner Bestandsgefährdung dennoch beachtet werden.
Der Grünling wurde von der Deutschen Gesellschaft für Mykologie zum Pilz des Jahres 2021 erklärt.