Volvariella bombycina
Wolliger Scheidling
Die Geschichte mit dem Wolligen Scheidling beginnt mit einer Fehleinschätzung. Doch bereits Jahre zuvor, am 2. August 2003 hatte ich eine denkwürdige Begegnung mit diesem prachtvollen Pilz.
Lt. Verbreitungsatlas scheint er im Rhein-Main-Gebiet recht gut verbreitet zu sein, aber dieser Eindruck täuscht. Die meisten Pilzfreunde berichten, ihn oft jahrelang nicht gesehen zu haben. So ist es auch für mich immer wieder eine Freude, ihm zu begegnen. Als ganz besonderes Ereignis empfand ich sein Erscheinen mitten in der Stadt Frankfurt am Main auf dem Messegelände.
Auch die Wahl seines Wirtsbaumes kann hier als ungewöhnlich bezeichnet werden. Er wuchs in Augenhöhe am Stamm einer Platane. Dieser Baum gilt als besonders resistent gegen Pilzbefall; allenfalls ist mal ein Zottiger Schillerporling auf seiner Rinde zu entdecken, was auch an den Platanen auf dem Messegelände der Fall gewesen ist.
Aber nun zu unserer Geschichte. Am 1. Juli 2016 wären wir im Steinberger Wald bei Dietzenbach fast an einem Stapel lagernder Buchenstämme vorbeigefahren und hätten einen Fund verpasst, der mir zunächst Rätsel aufgab. In der morschen Höhle an einer dem Weg zugewandten Schnittfläche war eine Gruppe ganz junger noch unentwickelter Pilze zu sehen. Da mich ihr Aussehen an Tintlinge erinnerte und ich schon von einem Höhlentintling gehört hatte, der auf solche speziellen Wuchsorte spezialisiert ist, war der Irrtum vorprogrammiert. Ich vermutete, diese sehr seltene Art (Coprinopsis spelaiophila) vor mir zu haben und beschloss, die weitere Entwicklung zu beobachten und sie von Tag zu Tag mit Fotos zu dokumentieren.
Eigentlich hätte mir schon am 2. Juli klar sein müssen, dass ich mich mit meiner voreiligen Vermutung auf dem Holzweg befand. Tintlinge pflegen sich sehr viel rascher zu entwickeln als es hier der Fall war. Am 3. Juli war einer der Pilze verschwunden. Jemand hatte ihn gepflückt und auf einem der Buchenstämme abgelegt. Ich benutzte das aus dem Leben gerissene Exemplar, um es im Anschnitt zu fotografieren. Das dickfleischige Velum brachte dann die Aufklärung. Es konnte sich nur um den Wolligen Scheidling handeln. Die zartgelbe Färbung der freigelegten Huthaut und ihr feines Fasermuster waren deutlich zu erkennen, was meine Digitalkamera leider ignorierte und stattdessen nur blendendes Weiß abbildete. Dieses fototechnische Problem ist vielen Pilzfreunden bekannt und ein immer wiederkehrendes Ärgernis. Als ich am 5. Juli mit Kamera zu meiner pilzkundlichen Pflichtübung in den Weg mit dem Holzstapel einbog, hätten zufällig in der Nähe befindliche Spaziergänger jemanden laut „Scheiße!“ rufen hören können. Die Stämme waren abtransportiert worden, die Fotodokumentation eines Lebenslaufes des Wolligen Scheidlings war im noch frühen Stadium seiner Entwicklung beendet.
Scheidlinge gehören zu den Dachpilzverwandten (Familie Pluteaceae mit den Gattungen Pluteus und Volvariella). Sie alle haben rosafarbenes Sporenpulver und infolgedessen in reifem Stadium rosa gefärbte Lamellen, die den Stiel nicht erreichen. Scheidlinge zeichnen sich durch eine sackartige, häutige Scheide am Stielgrund aus, die den Dachpilzen fehlt. In Mitteleuropa kommen drei Scheidlingsarten vor, die an Holz wachsen und leicht auseinanderzuhalten sind:
Hut 5 – 12 cm Durchmesser, Oberfläche weiß, mitunter gelblich getönt, wollig-filzig = Wolliger Scheidling (Volvariella bombycina)
Hut 2 – 5 cm Durchmesser, Oberfläche grau bis graubraun, stets bläulich getönt, feinfilzig mit grob gezähneltem Rand = Blaugrauer Scheidling (Volvariella caesiotincta)
Hut 2 – 6 (10) cm Durchmesser, Oberfläche grau bis graubraun, rissig gerieft, nur selten an morschem Holz, meist auf Erde an ruderalen Plätzen und Schutthalden = Braunscheidiger Scheidling (Volvariella taylori)
Der Wollige Scheidling ist die größte dieser drei Arten und häufiger als die beiden anderen. Ich habe ihn im Rhein-Main-Gebiet stets an Buche, lediglich einmal an Platane gefunden. Nicht selten wächst er aus Stammhöhlungen, mitunter in 3 bis 5 Metern Höhe. Andere Scheidlingsarten wachsen auf Erde, nicht an Holz.