Delicatula integrella
Weißer Adernabeling
Jeder hat so seine Lieblingspilze. Zum einen für die Küche, aber auch zum Anschauen. Bei mir sind es immer wieder diverse Winzlinge, die mich begeistern. Neben den Heftelnabelingen gehört auch der Weiße Adernabeling dazu. Mit seiner grazilen Gestalt, der alabasterweißen Farbe und den sehr entfernt stehenden, anastomosierenden Lamellen, die zu flach erhabenen Äderchen reduziert sind, erfreut er das Auge von Naturfreunden, die sich einen Sinn für unscheinbare Schönheiten bewahrt haben. Er sieht zerbrechlich aus und ist es auch. Nur mit Behutsamkeit lässt er sich seinem Wuchsort entnehmen, sofern man das Glück hat, ihn zu finden.
Der Weiße Adernabeling wird in der Literatur als seltene Art beschrieben. Diese Einschätzung hätte ich bis vor kurzem widerspruchslos geteilt, doch inzwischen scheinen mir die Angaben zu seiner Abundanz zumindest regional revisionsbedürftig zu sein. Allein im Jahr 2006 hat sich die Anzahl der Fundpunkte im Rhein-Main-Gebiet geradezu explosionsartig vermehrt. In den Monaten August bis Oktober habe ich Delicatula integrella bei zahlreichen Begehungen gefunden und bisweilen wahre Massenvorkommen beobachtet. Am beeindruckendsten war ein Fund im Steinberger Wald (TK 5918.4.1) am 11.08.2006. Die Höhlung eines stark vermorschten Kiefernstumpfes war komplett mit an die tausend dicht gedrängt wachsender Fruchtkörper ausgekleidet. Zwei Tage später hatten die kleinen Pilzchen einen weiteren Kiefernstumpf besiedelt und den Waldboden im Umkreis von bis zu zehn Metern erobert.
Der Weiße Adernabeling gehört zur Familie der Tricholomataceae (Ritterlingsartige) und steht den Helmlingen nahe, zu denen er auch schon gestellt worden ist. Von weißen Vertretern der Gattungen Mycena und Hemimycena unterscheidet er sich u. a. durch ein bei jungen Pilzen vorhandenes weißes Velum, das auf dem Hut und am Hutrand zu erkennen ist. Seine durchscheinend gerieften Hüte erreichen Durchmesser bis etwa 1 cm, die Stiele werden 1 bis 2,5 cm lang und haben an ihrer Basis ein rundliches myzelhaariges Knöllchen. Zu seinen mikroskopischen Auffälligkeiten gehört das Fehlen von Zystiden. Dies bewirkt, dass die Lamellen völlig glatt sind, woran der Adernabeling von ähnlichen Pilzen aus den Gattungen Marasmius, Marasmiellus, Mycena und Hemimycena zu unterscheiden ist. Es bedarf allerdings einer Lupe mit ca. 10- bis 20-facher Vergrößerung, um dies sicher zu erkennen. Bei verwechselbaren Arten aus den genannten Gattungen erscheinen die Zystiden als feine Bewimperung. Sehr ähnlich ist der Weiße Zwergschwindling Marasmiellus candidus, dessen Stiele jedoch in der unteren Hälfte braun gefärbt sind.
Die Abbildungen zeigen: diese Pilzchen kommen selten allein. Man findet sie vom Frühjahr bis zum Winter mitunter zu Hunderten (Tausenden) an feuchtem Laub-, seltener auch Nadelholz. Es gibt weltweit nur zwei Arten in der Gattung. Die zweite, Delicatula cuspidata, ist extrem selten und unterscheidet sich durch spitzhütige Fruchtkörper.